Demokratische Vielfalt und Erinnerung
1928: Die „Landvolkbewegung“
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Am 28. Januar 1928 versammelten sich hier auf dem Marktplatz ca. 20.000 Menschen. Sie fühlten sich vom Staat und ihren Verbänden im Stich gelassen. Diese Demonstration markierte den Beginn der selbsternannten „Landvolkbewegung“. Was forderten die Bauern und wie äußerte sich ihr Protest?
In den 1920ern befand sich die Landwirtschaft in einer Krise. Eine Ursache war die Einstellung der überlieferten Schutzzollpolitik: Durch Zölle hatte die deutsche Monarchie Bauern vor preiswerteren ausländischen Importen geschützt. Auch waren Bauern damals weitgehend von Steuerlasten befreit. Die Weimarer Republik schaffte diese Sonderbehandlung ab. Die sinkende Nachfrage nach Inlandsprodukten führte zu Preisverfall, Überschuldungen und Zwangsversteigerungen von Höfen. Jetzt mussten Bauern auf die Marktlage reagieren.

Die Landvolkbewegung organisierte sich von unten und außerhalb der etablierten Verbände und Parteien, denn parlamentarisch-politische Mittel und die Demokratie lehnte sie ab. Die Bauern gaben der Demokratie die Schuld an ihrer Situation.
Das Besondere an dem Protest war die neue Mobilisierungs- und Sprengkraft, mit der die Landvolkbewegung vorging. Der zivile Ungehorsam zeigte sich in Boykott von Steuern und Zwangsversteigerungen. Immer wieder wurde auch antisemitisches und völkisches Gedankengut geteilt. Denn Juden als Sündenböcke darzustellen, bot einfache Antworten auf die eigenen wirtschaftlichen Probleme und festigte das antidemokratische, radikal-nationalistische Weltbild der Bauern.
Einer Splittergruppe genügten die Proteste nicht. Mit Bombenanschlägen auf Rathäuser radikalisierten sie den Aufruhr; nur durch Zufall kamen keine Menschen zu Schaden. Der Strafprozess gegen zwölf Mitglieder leitete das Ende der Bewegung ein.
Das Erbe der Landvolkbewegung trat die NSDAP an. Durch die thematischen Übereinstimmungen und die Überhöhung des Bauerntums konnte sie viele Bauern für den Nationalsozialismus gewinnen. Die Landvolkbewegung erwies sich so als Türöffner. – Heute greifen Protestbewegungen die Symbole der Landvolkbewegung wieder auf. Darf man an diese Tradition noch anknüpfen?
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Hinweis: Wenn Sie die ganze Tour Ringen um Demokratie und Freiheit durch Norderdithmarschen geschafft haben, können Sie einen besonderen Sticker in der Tourismusinformation in Büsum einlösen. Als Nachweis zeigen Sie bitte die „geloggten Caches“ oder Bilder der Geocaches.
Verwendete Literatur:
- Danker, Uwe; Lehmann-Himmel, Sebastian; Schlürmann, Jan; Schwabe, Astrid: Proteste der Landvolkbewegung/ Scheiternde Demokratie. In: Danker, Uwe & Schliesky, Utz (Hrsg.): Schleswig-Holstein 1800 bis heute. Eine historische Landeskunde. Husum 2014, S. 212–221.
- Danker, Uwe & Schwabe, Astrid: Die Volksgemeinschaft in der Region. Schleswig-Holstein und der Nationalsozialismus. Husum 2022.
- Heberle, Rudolf: Landbevölkerung und Nationalsozialismus. Eine soziologische Untersuchung der politischen Willensbildung in Schleswig-Holstein 1918–1932. Stuttgart 1963.
- Koch-Facompré, Günter: Die Landvolkbewegung. In: Dithmarschen. Zeitschrift für Landeskunde und Landschaftspflege (4) 1991, S. 77–84.
- Pfeil, Ulrich: Dithmarschen in der Weimarer Republik 1918–1933. In: Verein für Dithmarscher Landeskunde e.V. (Hrsg.): Geschichte Dithmarschens. Heide 2000, S. 299–326.
- Pfeil, Ulrich: Vom Kaiserreich ins „Dritte Reich“: Die Kreisstadt Heide/Holstein 1890–1933. Heide 1995.