Demokratische Vielfalt und Erinnerung
1933: Paul Riechert auf einem Pferdekarren
Text anhören
Am 27. Juni 1933 rollt ein Pferdekarren durch die Heider Innenstadt. Auf ihm zwei Männer, die kurz zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden sind und nun gewaltsam von der nationalsozialistischen SA durch die Straßen gefahren werden. Beide tragen Schilder um den Hals. Auf dem des Älteren steht „Ich bin ein Hoch- und Landesverräter“. Auf dem Schild des Jüngeren „Meine Familie ist ebenso“. Was haben sie sich – angeblich – „zuschulden“ kommen lassen?

Beide Männer wohnten in diesem Haus, vor dem Sie hier stehen. Der Ältere der Beiden war Paul Riechert. Seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg hatten ihn zum Kriegsgegner gemacht. Außerdem setzte er sich für die Völkerverständigung ein. Er war Friedensaktivist und produzierte in seiner Heider Druckerei zahlreiche pazifistische Schriften, stand zudem der SPD nahe. Deshalb war er den örtlichen Nationalsozialisten verhasst.
Mehrmals wurden 1932 die Fensterscheiben bei den Riecherts eingeworfen und das Haus mit Buttersäure besprüht. Die Täter stammten aus den Reihen der Heider SA, konnten aber damals nicht von der Polizei ermittelt werden.
Nach der Machtübernahme kommt es noch dicker: Am 3. Mai 1933 wird Paul Riechert das erste Mal verhaftet, seine Druckerei durchsucht und dabei zwei LKW-Ladungen Druckerzeugnisse beschlagnahmt. Der Vorwurf lautet Hoch- und Landesverrat; so interpretieren die Nationalsozialisten Riecherts pazifistische Haltung und die gedruckten Aufrufe zur Kriegsdienstverweigerung. Nach zwei Wochen wird er aus der Haft entlassen. Am 24. Juni wird er zwar erneut verhaftet, kommt aber bereits nach drei Tagen wieder frei. Nun warten allerdings vor dem Polizeigefängnis in Heide die Nationalsozialisten mit dem Pferdekarren…
Nach dieser erneuten Demütigung und nachdem er durch ein Berufsverbot seine Existenz verloren hatte, entschied sich die Familie zur Flucht. Ihr Ziel war Dänemark. Erst schlug sie sich mit Hilfe von Freunden und wohltätigen Organisationen durch, später erhielt Paul Riechert auch eine kleine Rente. Nach Deutschland aber kehrte er nie wieder zurück.
Heute fragen wir uns, warum so wenig an Paul Riechert erinnert? Und warum war er für so viele, nicht nur für die Nationalsozialisten, ein Feind, wenn er nur Frieden wollte?
Hinweis: Wenn Sie die ganze Tour Demokratische Vielfalt und Erinnerung durch Heide geschafft haben, können Sie einen besonderen Sticker bei der Tourismusinformation Heide einlösen. Als Nachweis zeigen Sie bitte die „geloggten Caches“ oder Bilder der Geocaches.
Verwendete Literatur:
- von Borries, Maria: Der Verleger und Pazifist Paul Riechert. In: Mitteilungen des Beirats für Geschichte 13 (1991), S. 5–24.
- Rehn, Marie-Elisabeth: Heider gottsleider. Kleinstadtleben unter dem Hakenkreuz: Eine Biografie. Berlin 2005.