Nationalsozialistischer Einbruch und demokratischer Neubeginn

1945: Familie Höß in St. Michaelisdonn

Anfang Mai 1945 kommt eine Familie nach St. Michaelisdonn. Wie andere Flüchtlinge auch werden Mutter und Kinder nach einer Zwischenstation in der Zuckerfabrik untergebracht. Der Vater reist weiter. – Eine „normale“ Flucht von vielen? 

Bei dieser Schwarzweißfotografie handelt es sich um ein Familienfoto der Familie Höß. Die Familie hat sich vor einer Pflanze aufgestellt. In der hinteren Reihe steht links der älteste Sohn und daneben Rudolf Höß, beide sind uniformiert. Neben Höß steht eine der Töchter. Keiner von ihnen schaut in die Kamera. In der vorderen Reihe sitzt in der Mitte die Mutter, links von ihr eine Tochter, rechts ein Sohn. Von ihnen blickt lediglich der Sohn in die Kamera, alle anderen Blicke sind nach unten gewandt.

Es sind die letzten Kriegstage 1945: Alliierte Truppen besetzen zuletzt auch Schleswig-Holstein. Würden Sieger oder überlebende Verfolgte aus der eigenen Gesellschaft nun Rache nehmen? Besonders dringlich stellen sich solche Fragen den Haupttätern. Viele von ihnen wenden sich nach Flensburg, dem Sitz der letzten NS-Reichsregierung. Sie suchen Fluchtwege. – Unter diesen ist auch ein gewisser Rudolf Höß mit Gattin Hedwig und ihren fünf Kindern. Frau und Kinder bringt er zu Schwager Fritz nach St. Michaelisdonn, der alles Weitere regelt. Höß selbst besorgt sich in Flensburg neue Papiere, heißt fortan Franz Lang.

Rudolf Höß war ein früher Nationalsozialist und hatte 1924 bis 1928 als politischer Mörder in Haft gesessen, bevor er 1934 in die SS aufgenommen und KZ-Wächter wurde. 1940 erhielt er den Auftrag, in Auschwitz im besetzten Polen ein Lager aufzubauen, das vor allem zur Ermordung der europäischen Juden beitragen sollte. Hier wurden mindestens 1,1 Millionen Menschen mit Gas getötet. Höß blieb bis Ende 1943 Kommandant der „Todesfabrik“. Mit Frau und Familie wohnte er in einer Villa direkt vor Ort.

Unter falschem Namen lebt Höß als Landarbeiter ab Juli 1945 in Gottrupel bei Flensburg. Britische Spezialfahnder stellen Anfang 1946 fest, wo Hedwig Höß mit den Kindern ist. Sie wird verhaftet. Als ihr Sohn ebenfalls ins Gefängnis kommt und man droht, ihn „nach Sibirien“ bringen zu lassen, gibt sie die Tarnung ihres Mannes preis. Er wird am selben 11. März 1946 verhaftet, Zeuge im Nürnberger NS-Prozess, nach Polen ausgeliefert, vor Gericht gestellt und am 16. April 1947 hingerichtet.

Diese Fluchtgeschichte verweist auf Probleme der Bewältigung der NS-Zeit: Höß wurde schließlich gefasst. Aber viele andere Täter und vor allem jene, die als „normale“ Richter, Landräte, Polizisten oder NS-Funktionäre den NS-Staat und sein Unrecht getragen hatten, setzten ihr Leben und ihre Karrieren einfach fort. Sie belasteten die junge neue Demokratie.

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 Verwendete Literatur:

  • Harding, Thomas: Hanns und Rudolf. Der deutsche Jude und die Jagd nach dem Kommandanten von Auschwitz. München 2013.
  • Koop, Volker: Rudolf Höß. Der Kommandant von Auschwitz. Eine Biographie. Köln-Weimar-Wien 2014.